WHO-Neubewertung der Toxizitätsverhältnisse von toxischen PCDD/F- und DL-PCB-Kongeneren

Kein Einfluss der neuen Toxizitätsäquivalentfaktoren auf die aktuelle EU-Gesetzgebung

Okt. 2024. Die Veröffentlichung der neuen Toxizitätsäquivalentfaktoren (TEF) für Dioxine und DL-PCB durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang 2024 (WHO(2022)-TEF) hat zunächst keinen unmittelbaren Einfluss auf die EU-Gesetzgebung von Lebens- und Futtermitteln. Lebens- und Futtermittelunternehmen können sich jedoch bereits jetzt eine eigene Datensammlung auf Basis der neuen TEF für ihre spezifischen Produkte aufbauen und sich auf zukünftige Veränderungen in der EU-Gesetzgebung vorbereiten. Wir unterstützen Sie!

Toxizitätsäquivalentfaktoren für Dioxine und PCB

Polychlorierte Dibenzodioxine und -furane (PCDD/F) und polychlorierte Biphenyle (PCB) sind zwei Stoffklassen der persistenten organischen Verbindungen (englisch: persistent organic pollutants, kurz: POP), die aus 210 bzw. 209 verschiedenen chemischen Verbindungen bestehen. Aus lebens- bzw. futtermittelrechtlicher Sicht sind innerhalb der Europäischen Union davon jedoch nur 17 PCDD/F, 12 DL-PCB und 6 NDL-PCB relevant. Der umgangssprachlich verwendete Begriff „Dioxine“ meint dabei in der Regel diese 17 PCDD/F und 12 DL-PCB. Diese zeichnen sich durch eine gemeinsame Wirkungsweise der toxischen Eigenschaften aus, die jedoch in ihrer Stärke unterschiedlich stark ausgeprägt sind.

Abb. 1: Schritte der TEQ-Berechnung

Zur Ab­schät­zung des ge­sam­ten toxi­schen Po­ten­zials die­ser Sub­stanz­mi­schung wurde das System der Toxi­zi­täts­äqui­valen­te (TEQ) en­twickelt und ein­ge­führt. Be­stand­teil dieses Systems sind so­ge­nann­te Toxi­zi­täts­äqui­va­lent­fak­to­ren (TEF). Ein TEF stellt das Ver­hält­nis zwi­schen der Toxi­zität eines Kon­ge­ners die­ser Gruppe und der Toxi­zi­tät des gif­tig­sten Kon­ge­ners dar und ist ein nu­me­ri­scher Fa­ktor zur Be­rech­nung des TEQ, wie in Ab­bil­dung 1 dar­ge­stellt. Die TEF werden an­hand von wissen­schaft­li­chen Stu­dien zum toxi­schen Po­ten­zial der ver­schie­de­nen Dioxine und dioxin­ähn­li­chen PCB er­mit­telt und werden in regel­mäßi­gen Ab­ständen unter Be­rück­sich­ti­gung neuer Er­kennt­nisse ak­tu­ali­siert.  

 

Neue WHO(2022)-TEF für Dioxine und DL-PCB

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat erstmals 1998 eine Liste mit solchen Toxizitäts­äquivalent­faktoren, den WHO-TEF, zusammengestellt, auf deren Grundlage in 2002 erstmals die EU-Höchstgehalte für Dioxine und dioxinähnliche PCB in Lebensmitteln festgesetzt wurden. Auch die gesundheitlichen Bewertungen in Zusammenhang mit tolerierbaren Aufnahmemengen, die durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder entsprechende nationale Organisationen durchgeführt werden, erfolgen auf Basis der WHO-TEQ. Anfang 2024 hat die WHO in einer Überprüfung der WHO-TEF veränderte Faktoren für einige Dioxine und dioxinähnliche PCB veröffentlicht. Eine Übersicht aller bisher veröffentlichten TEF inklusive der neuen WHO(2022)-TEF finden Sie in den nachfolgenden Tabelle.

Übersicht der TEF-Systeme für PCDD/F und DL-PCB

Was ändert sich für Lebens- und Futtermittelunternehmer mit der Veröffentlichung der WHO(2022)-TEF?

Die Veröffentlichung der neuen TEF-Werte für Dioxine und DL-PCB durch die WHO zu Beginn 2024 hat zunächst keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gesetzgebung der EU bei Lebens- und Futtermitteln:

• EU-Höchstgehalte und Auslöse- bzw. Aktionsgrenzwerte für Dioxine und DL-PCB in Lebens- und Futtermitteln beziehen sich auf WHO-TEQ-Daten. Diese sind an einen bestimmten Datensatz an TEF geknüpft, aktuell WHO(2005)-TEF ^[5,6,7].
• Für Produkte, auf die die Höchstgehalte nicht angewendet werden können, kann zur Einstufung eine tolerierbare Aufnahmemenge herangezogen werden. Die EFSA veröffentlichte 2018 eine tolerierbare wöchentliche Aufnahme (TWI) von 2 pg WHO(2005)-TEQ/kg Körpergewicht^[8]. Diese ist somit ebenfalls an einen bestimmten Datensatz an TEF-Faktoren (hier ebenfalls WHO(2005)-TEF) gebunden.

Ausblick auf Änderungen der tolerierbaren Aufnahmemengen und Höchstgehalte

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) soll aktuell auf Grundlage der neuen TEF eine neue gesundheitliche Bewertung erarbeiten. Die Ergebnisse sollen voraussichtlich im Frühjahr 2026 vorliegen^[9]. Expert:innen für persistente organische Verbindungen von Eurofins schätzen, dass die EFSA eine neue tolerierbare Aufnahmemenge auf WHO(2022)-TEQ-Daten basierend veröffentlichen wird. Nachfolgend wird die EU-Kommission voraussichtlich neue EU-Höchstgehalte für Lebens- und Futtermittel mit Bezug auf das WHO(2022)-TEF-System verabschieden. Da die EFSA bereits 2018 zu dem Schluss kam, dass Verzehrs- und Expositionsdaten aus europäischen Ländern für alle Altersgruppen auf eine Überschreitung der von der EFSA 2018 abgeleiteten tolerierbaren Aufnahmemenge hindeuten, ist in den nächsten Jahren eine deutliche Absenkung der Höchstgehalte auf Basis aktueller Häufigkeitsverteilungen in Lebens- bzw. Futtermitteln wahrscheinlich.

Aufbau einer Datensammlung basierend auf den neuen TEF

Die Berechnung von Toxizitätsäquivalenten auf Basis der WHO(2022)-TEF wird bei unseren Analysen auf Wunsch bereits zusätzlich durchgeführt, sodass Lebens- und Futtermittelunternehmen oder andere Interessierte sich für ihre spezifischen Produkte schon jetzt eine eigene Datensammlung aufbauen können. Wenn sich dann in der Zukunft die EU-Höchstgehalte bzw. Auslösewerte ändern, kann für diese Erzeugnisse ohne weiteren analytischen Zusatzaufwand und ohne Zeitverzug ein Abgleich mit den kommenden Grenzwerten gemacht werden. Lebens- und Futtermittelunternehmen können sich somit ohne Zusatzaufwand bereits jetzt auf zukünftige Veränderungen in der EU-Gesetzgebung vorbereiten.

Haben Sie weitere Fragen zu Dioxinen und PCB oder deren Analyse?

Sprechen Sie Ihre:n persönliche:n Kundenbetreuer:in an oder wenden Sie sich direkt an unsere Expert:innen für die Analyse von Dioxinen und PCB.

Relevante Quellen:

[1] North Atlantic Treaty Organization, Committee on Challenges of Modern Society: Pilot Study On International Information Exchange On Dioxins And Related Compounds: International Toxicity Equivalency Factor (I-TEF) Method of Risk Assessment for Complex Mixtures of Dioxins and Related Compounds. Report Number 176, August 1988.
[2] Van den Berg et al. (1998): Toxic Equivalency Factors (TEFs) for PCBs, PCDDs, PCDFs for Humans and for Wildlife. Environmental Health Perspectives, 106(12), 775
[3] Van den Berg et al. (2006): The 2005 World Health Organization Reevaluation of Human and Mammalian Toxic Equivalency Factors for Dioxins and Dioxin-Like Compounds. Toxicological Sciences, 93 (2), 223–241
[4] DeVito et al. (2024): The 2022 world health organization reevaluation of human and mammalian toxic equivalency factors for polychlorinated dioxins, dibenzofurans and biphenyls. Regulatory Toxicology and Pharmacology, 146 (January 2024), 105525
[5] Verordnung (EU) 2023/915 der Kommission vom 25. April 2023 über Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln. ABl. L 119 vom 5.5.2023, S. 103–157. (in der Fassung vom 22.07.2024)
[6] 2013/711/EU: Empfehlung der Kommission vom 3. Dezember 2013 zur Reduzierung des Anteils von Dioxinen, Furanen und PCB in Futtermitteln und Lebensmitteln. ABl. L 323 vom 4.12.2013, S. 37–39.  (in der Fassung vom 3.10.2014)
[7] Richtlinie 2002/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Mai 2002 über unerwünschte Stoffe in der Tierernährung. ABl. L 140 vom 30.5.2002, p. 10–22. (in der Fassung vom 28.11.2019)
[8] EFSA (2018): Risk for animal and human health related to the presence of dioxins and dioxin‐like PCBs in feed and food. Scientific Opinion. EFSA Journal 2018;16(11):5333
[9] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV): Neubewertung der Toxizitätsäquivalente für Dioxine und dioxinähnliche Verbindungen (Sept. 2024)